Rede zur Ausstellungseröffnung „Der Farbe nach: Sehwege - Malerei“ von Martin Sander
gehalten im Kunsthaus Nordstemmen, am 6. Juli 2025 von Dr. Ulrike Budke-Grüneklee, Pastorin und Literaturwissenschaftlerin
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Martin Sander,
Der Farbe nach: „Seh-Wege – Malerei“ hat Martin Sander seine Ausstellung überschrieben, und davor eine Art Programm gesetzt: „der Farbe nach“. Es hört sich an wie eine Weg-Beschreibung … folgen Sie der Farbe, und Sie finden mehr, als Sie sich vorher denken konnten! Martin Sander ist Maler und Grafiker: Schwarz-weiß war für einen bestimmten Zeitraum seines Schaffens auch eine Möglichkeit. So wie für seinen Kollegen Pierre Soulages, der ebenfalls Maler und Grafiker war. Soulages wurde dadurch berühmt, dass er ein neues Schwarz erfand, das „Outre-Noir“, auf deutsch: das „Über-Schwarz-Hinaus“. Pierre Soulages vergleicht die Kunst mit einem zweiten Schlüssel, ohne den man bestimmte Koffer nicht öffnen kann:
„... nur mit einem Schlüssel öffnet sich gar nichts. (…) So ähnlich ist es, wenn man ein Kunstwerk betrachtet: Das Leben eines Kunstwerks geschieht durch die, die es betrachten. Dabei geht es nicht um einen versteckten Sinn oder eine geheime Botschaft (…). Es geht um ein großes Geheimnis.“ (Vgl. Soulages. L´exposition. Ausstellungskatalog des Centre Pompidou, Paris 2009; S. 46).
Diese Idee vom Kunstschaffen ist dem Selbstverständnis von Martin Sander sehr verwandt. Bei Martin Sander ist es allerdings ein Bekenntnis zur Komplexität der Welt mit Farbe - und nicht ohne sie. Im Eingangsbereich sehen Sie drei Bilder, die etwa im Abstand von zehn Jahren entstanden sind: 2000-2010-2019. Dazwischen liegen die vielfältigen Sehwege des Künstlers – Wege, auf denen er die Farbe und ihre Materialität in immer neuen Anläufen für sich entdeckt hat.
Seh-Wege
Wie kommt man heute eigentlich noch zu eigenen Bildern? Das ist nicht nur für Künstler eine Frage. Mit KI lassen sich sehr leicht Bilder
herstellen, die im Rahmen einer bestimmten Erwartung funktionieren. Sie sind viel gegenwärtiger als man sich das noch vor zehn Jahren hätte vorstellen können. In Zukunft werden Bürger und Bürgerinnen lernen müssen, echte und künstliche Bilder auseinanderzuhalten. Auch deshalb, weil man mit KI-Bildern so gut manipuliert werden kann. Die Intuition dafür müssen wir uns aber erst noch erarbeiten. Der Austausch über die eigenen Seh-Wege kann diesen Lernprozess unterstützen: mit einer Kartografie des Möglichen, die dem Einzelnen hilft, seine Urteilskraft im Umgang mit Bildern zu erhalten. Wie kann man den Unterschied zwischen KI und Kunst beschreiben? Mir scheint, KI-Bilder sind stumm. Es ist nicht möglich mit ihnen in Resonanz zu treten, vielleicht weil der Raum für Überraschungen fehlt. „Seh-Wege“ wird es mit KI-Bildern ganz sicher nicht geben. Mit einiger Übung wird man die resonanzlosen Bilder immer schneller der KI zuordnen können.
In den letzten drei Jahren hast Du nach Mitteln gesucht, wie der Prozess des Erzählens zum integralen Bestandteil Deiner Kunst werden kann. So sind die „Modulare(n) Aquarelle“ entstanden, die Sie in diesem Raum sehen. Sie haben so schöne Titel wie „poff“, „travellers“ oder „para Juan Rulfo“ (ein Schriftsteller, den Martin Sander auf seiner Reise nach Mexiko entdeckt hat). Die Modularen Aquarelle sind wie ein Comic für unentdeckte Zusammenhänge – für Teile der Wirklichkeit, die ich noch nie auf diese Weise gesehen habe und die mir erst durch das Erzählen bewusst werden.
Auf zwei Werke des Künstlers möchte ich Sie besonders aufmerksam machen:
1. „Doing loss“
In Raum 2 zeigt ein Holzschnitt Martin Sanders Mutter. Die Probedrucke zeigen den Weg des Künstlers bis zu dem endgültigen Bild. Es geht um
Vergänglichkeit und die Bilder, die bleiben. Es ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem „Verlust“ eines Menschen, ein „doing loss“, wie Andreas Reckwitz es nennt, mit den Mitteln der Kunst („doing loss“, vgl. Andreas Reckwitz, Verlust. Ein Grundproblem der Moderne; Berlin 2024).
2. Vorhersehen und vorher sehen
In Raum 3 erkennen Sie auf einem Bild die Bestandteile der amerikanischen Flagge. Es ist ursprünglich 2011 durch die Beschäftigung mit formalen Mustern entstanden: Die fünfzackigen Sterne sind aus drei gleichen Dreiecken zusammengesetzt. Unten am Bildrand ist das Zeichen
des Drudenfußes: Der Drudenfuß sollte im Mittelalter gegen Hexerei wirken. Erst jetzt hat das Bild seinen Titel erhalten: „A new sheriff in town“ - eine Aussage des amerikanischen Außenminister James David Vance.
An eine Vorsehung kann man heute nicht mehr glauben. Aber es wäre doch gut, manche Dinge vorher zu sehen - bevor sie eintreten. Auf Sehwegen unterwegs sein schärft die Augen und das Empfinden dafür, was echte und was falsche Bilder sind.
Zum Schluss
Ich möchte mit einem schönen Zitat von Michelangelo schließen: „Wenn ich alles Große genau betrachte, so sehe ich, dass es aus lauter
Kleinigkeiten zusammengesetzt ist, und wenn ich ganz genau hinsehe, erkenne ich, dass es so etwas wie Kleinigkeiten gar nicht gibt.“ So mag sich beim Betrachten der Bilder von Martin Sander ein ganz eigener Sehweg einstellen, der die empfundene Wirklichkeit mit Farben bereichert und das Publikum vor den Bildern unweigerlich ins Erzählen bringt.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser Ausstellung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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